Im Zeichen von Fisch und Pflugschar

von Dr. Karl-Heinz Debacher

Das Ruster Wappen zeigt einen Fisch auf blauem und einen goldenen Pfllugschar auf rotem Hintergrund
Ruster Wappen

Der Wandel der dörflichen Lebenswelt hat auch vor der Gemeinde Rust nicht Halt gemacht. Aus dem einstigen Fischer- und Bauerndorf ist ein, zwar durchaus noch ländlich geprägtes, sich aber zunehmend am Fremdenverkehr orientierendes Gemeinwesen geworden. Schnell und auch gerne vergessen wir, wie sich unsere Vorfahren, ja noch die Groß- und Urgroßeltern ihr tägliches Brot erwerben mussten.Ich möchte daher versuchen, ein Bild zu rekonstruieren, das vor Augen führt, welche Möglichkeiten unsere Vorfahren hatten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ein kulturgeschichtliches Mosaik, das sich aus den Hauptelementen Fischerei, Hanfanbau und dessen Verarbeitung, sowie Tabakpflanzung ud Zigarrenindustrie zusammenfügt.

Handwerk und Gewerbe

Unser Dorf hatte für seine Bedürfnisse stets ausreichendes Handwerk und Gewerbe, wobei es in früheren Zeiten, neben den uns heute noch geläufigen Dorfhandwerkern, wie beispielsweise dem Schmied, dem Bäcker, dem Metzger und dem Schlosser, auch eine Gipsstampfe, eine Fruchtschrote und eine Ölmühle im Ort gab. In dieser Ölmühle musste ein Pferd mit verbundenen Augen im Kreis herumlaufen, um den Mahlstein anzutreiben.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es hier auch eine jüdische Bäckerei, die die so genannten Matzen, die ungesäuerten Passahbrote, herstellte und damit sogar Juden in ganz Baden belieferte.Das Landesadressbuch für das Großherzogtum Baden des Jahres 1909 zeigt uns eine Momentaufnahme der Situation zu Beginn unseres Jahrhunderts. Erwartungsgemäß stoßen wir unter den Berufen in der Mehrzahl auf Landwirte, Tagelöhner und Fabrikarbeiter, allerdings auch auf eine überraschend große Zahl von Handwerks- und Gewerbebetrieben, die diese bunte Palette ergänzen. Es gab:

  • 21 Feldsteinmachereien
  • 9 Fuhrunternehmer bzw. Lohnfuhrmänner
  • 9 Gemischtwarengeschäfte
  • 8 Bäckereien
  • 6 Maurergeschäfte
  • 6 Schuhmachereien
  • 5 Schneidereien
  • 5 Metzgereien
  • 4 Zimmergeschäfte
  • 4 Wagnereien
  • 4 Schreinereien
  • 3 Schmiede
  • 3 Fischhandlungen
  • 2 Gärtnereien
  • 2 Sattlereien
  • 2 Küfereien
  • 2 Schlossereien
  • 2 Malergeschäfte
  • 2 Friseurgeschäfte
  • 1 Eisenwarenhandlung
  • 1 Glas- und  Porzellanwarengeschäft
  • 1 Weinhandlung
  • 1 Spezereiwarengeschäft
  • 1 Blechnerei
  • 1 Glaserei
  • 1 Ziegelei
  • 1 Mützenfabrik
  • 1 Maulwurffänger
  • 1 Flaschenbierhändler

Diese Angaben erhalten eine besondere Bedeutung, wenn man bedenkt, dass  die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt lediglich 1833 Einwohner hatte.

Die Fischerzunft

Verziehrte Holztruhe
Zunftlade der Fischerzunft

Wohl dokumentiert und erforscht ist die Geschichte der Fischer und ihrer Zunft. Schon die erste urkundliche Erwähnung, weist Rust bereits als Fischerdorf aus. Aufgrund verschiedener Belege und eingetragener Jahreszahl 1583 auf der Zunftlade sowie dem Zunftschild, konnte die Fischerzunft im Jahre 1983 ihr 400jähriges Bestehen feiern. Die älteste noch vorhandene Zunftordnung wurde am 22. August 1588 erlassen. Da es sich dabei um eine Erneuerung einer älteren, nicht mehr auffindbaren Ordnung handelt, steht fest, dass sich die Fischer im Ort schon viel früher in einer Zunft zusammengeschlossen haben müssen.

Die Geschichte der Ruster Fischerzunft ist sehr bewegt. Bereits Ende des 15. Jahrhunderts begannen Grenzstreitigkeiten mit benachbarten Zünften. Nach den alten Satzungen wird das Zunftrecht bis heute an die Fischerwitwen und deren Söhne vererbt. Ein jeder Fischersohn hat das Recht, im Zunftgewässer zu fischen, nachdem er das 25. Lebensjahr erreicht und die Fischerprüfung abgelegt hat.Jährlich im Oktober wird der Fischertag gehalten, der, wie in all den Jahren, mit einer Messfeier zu Ehren der verstorbenen Zunftgenossen eingeleitet wird.

Der Zunftvorstand besteht aus dem Zunftmeister, Zunftrechner, Zunftschreiber sowie zwei Beisitzern und hat die Aufgabe die Belange der Zunft wahrzunehmen. Protokolle, Verträge und Urkunden - die älteste aus dem Jahr 1425 - werden in der Zunftlade aufbewahrt. Der Mechanismus ist so gestaltet, dass sich die Lade nur mittels zweier Schlüssel öffnen lässt. Einer ist im Besitz des Zunftmeisters, der andere in der Obhut des Rechners. Zu besonderen Anlässen wird die Truhe in einem feierlichen Zeremoniell geöffnet.

Landwirtschaft

Bedingt durch die naturräumlichen Voraussetzungen, bildeten Fischerei und Land­wirtschaft seit alters her die Grundlage der Versor­gung unserer Dorfbewohner. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche war durch den vielverzweigten Rhein mit seinen Nebenarmen, Gießen und Bächen sehr gering. Trotz fortgesetzter Rodung, erkennbar an Flurnamen wie Reuthe, Unter der Reuthe, Münzreuthe, Neugländ oder Stockfeld, hielt sich die Steigerung des Lebensstandards in Grenzen. Noch bis ins 18. Jahrhundert wurde das System der Dreifelderwirtschaft angewendet. Das bedeutet: Sommerfrucht, Winterfrucht und Brache folgten einander in steter Regelmäßigkeit. Das Vieh und die Schweine wurden fast das ganze Jahr auf die Weide getrieben. Erst das Aufkommen des Klee- und Kartoffelanbaues brachte eine Intensivierung der Anbauweise und die Lockerung der starren Dreifelderwirtschaft etwa zwischen 1760 und 1780.

Hanfanbau- und Verarbeitung

Hanfreibe mit Mühlstein und Holzkurbel
Hanfreibe
©Vogtsbauernhöfe Gutach

Allerdings bot die Gemarkung geradezu ideale Vor­aussetzung zum Hanfanbau und vor allem zu dessen aufwendiger Verarbeitung. Hanf und Flachs waren deshalb in Rust, und natürlich in der gesamten Umgegend, die frühesten Handelsgewächse, die bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts eine große Bedeutung für das Dorf hatten.

Hanf ist eine bereits sehr lange bekannte und weltweit verbreitete Nutzpflanze zur Gewinnung von Fasern und ölhaltigen Früchten. Schon der römische Historiker und Schriftsteller Plinius, der Ältere, berichtet von dieser vielseitigen Pflanze. Sie stammt aus dem nördlichen Zentralasien und gehört zur Familie der Brennnesselgewächse, ist einjährig und bildet nur einen Stängel, der je nach Sorte bis zu dreieinhalb Meter hoch werden kann. Der Hanf ist zweihäusig. Die weibliche Pflanze, Mastel genannt, ist größer und reift später.

In der Regel wurde die Hanfsaat im Monat Mai ausgebracht, die mit der beginnenden Sommerwärme sehr schnell zu keimen und zu wachsen begann. Nicht umsonst besagt die Redensart, dass etwas wie der Hanf wächst. Die Reifezeit trat beim Hanf in der zweiten Augusthälfte ein. Wenn nur die Fasernutzung vorgesehen war, wurde nach Abblühen der männlichen Pflanze, rund hundert Tage nach der Aussaat, und nach Abwerfen der vergilbten Blätter, geerntet. Die männliche Pflanze, der so genannte Femmel oder Fimmel, wird zuerst reif, die weibliche zwei bis drei Wochen später. Deshalb wurden die weiblichen Stauden teilweise sogar erst im Oktober geerntet, da diese bei der Ernte des "Fimmels" noch völlig grün waren.

Die Ernte erfolgte durch herausziehen, das „liechen“, der Pflanzen. Die Frauen gingen voraus und rissen die dünneren Stängel heraus, die gesondert zusammengebunden wurden, weil sie den wertvolleren Fein- oder Spinnhanf ergaben. Ihnen nach folgten die Männer, die sich, meist mit ledernem Fingerschutz versehen, um die stärkeren Exemplare kümmerten. Die zusammengebundenen Hanfbündel in Größe einer Getreidegarbe wurden Schauben genannte.

Um nun die Faser aus ihrer Verbin­dung mit dem Holz und der Rinde zu lösen, leitete man einen Fäulnis-  bzw. Gärprozess, die "Rötze", ein. Dazu legte man die "Schauben" in künst­lich ange­legte Teiche oder ge­staute Wasserläufe mit gerin­ger Fließgeschwindigkeit, bedeckte sie mit Bohlen, die meist aus Erlenholz waren und beschwerte das Ganze mit so genannten Rötzsteinen, bis der Hanf völlig untergetaucht war.Ließ sich nach etwa einer Wo­che die obere Grünschicht von den Stängeln abstreifen, kam der Hanf aus dem Wasser, sonst wäre er "verrötzt". Die gerötzten Schauben wurden aufgebunden und auf dem Acker zum Trocknen gespreitet.

Schon seit alters her versuch­ten die Men­schen das Trocknen des Hanfes vom Wetter unabhän­gig zu ma­chen. Mancherorts benutzte man so genannte "Hanfdarren". Das waren rechteckige Gruben, die mit frisch geschlagenen, grünen Pfählen belegt waren, so dass eine Art Rost entstand, auf den der Hanf gelegt wurde. Darunter wurde ein Feuer entfacht, das den Hanf dann trocknete. Daneben ersannen die Menschen auch noch allerlei andere, nicht immer ungefährliche Methoden, der Witterung ein Schnippchen zu schlagen und den Hanf, vor allem in feuchten Jahren, zu trocknen.

So berichtet uns die Dorf­ordnung der Gemeinde Rust von 1565: "Dieweil sich auch ettliche gelusten laßen, den Hanf in den Stuben, Bachöfen oder sonst zu dör­ren, auch auf den Biehnen bey Liecht zu hächeln, darauß dann unterschiedlichen mahlen Feüwer und Brünste entstanden, auch durch solche Fahrläßigkeit eine ganze Gemeinde und Bürgerschaft beschädigt werden könnte."Beim nachfolgenden "Schleißen" d. h. Schlenzen, wurden die Stängel gebrochen und mit ei­nem Däumling die groben Fasern abgeschlenzt. Diesen Schleiß- oder Grobhanf, der den Hauptanteil der Ernte stellte, drehte man zu kleinen Bündeln und verkaufte sie nach Gewicht zur Herstellung von Seilen und Säcken.

Beim näch­sten Ar­beitsgang musste die Fa­ser von allen un­brauchbaren Stengel­teilen be­freit werden. Dies geschah zu­erst mit der Hanf­breche, die nur zwei Längshöl­zer hatte und dann mit der Knitsche mit drei Längshöl­zern. Der Hanfbrecher nahm jeweils eine Hand voll bzw. "Hampfel" und bearbeitete sie von beiden Enden her. Die kör­perlich anstrengende Arbeit an der Breche besorgten die Män­ner, das Knitschen die Frauen

Nun wurde der Brechhanf gehe­chelt. Die Hechel war ein Brett, in das Nägel einge­schlagen waren und ca. 10-15 cm herausstanden. Man unter­schied dabei Grob- und Feinhechel. Durch dieses Käm­men wurden die restlichen Holzteile entfernt. Das fer­tiggechelte Faserbündel hieß "Riste". Die erste Riste war lang. Beim nochmaligen Auskäm­men gab es eine kurze Riste. Als letzter Rest blie­ben wirre grobe Fasern, der "Kuder" d.h. Werg.

Der Brechhanf kam nun in die Plauel. Sie erhielt ihren An­trieb durch Wasserkraft. Das Wasserrad setzte eine starke Zapfwelle in Bewegung, deren Holzzapfen starke Eichenbalken hoben und fallen ließen. Dabei säuberten sich die Fasern, sie wurden weicher und feiner. Bei der Hanfreibe trieb das Wasser, ähnlich der Ölmühle, einen schweren glockenförmigen Stein, der rundum lief. Auf seinem Bett wurde der Hanf ausgelegt und der Stein lief über das Bündel, bis auch die letzten Nebenstoffe vom Ge­spinst beseitigt waren. Schon das "Zinsbuch der Ru­ster Bürger" der Jahre 1434-1456 be­richtet von einer gemeindeeigenen Plauel. Außerdem nannte die Gemeinde auch eine Hanfreibe ihr Eigen.

Die Böcklins, als Ortsherren, besaßen ebenfalls solche Ein­richtungen. Im Jahre 1759 ver­lehnen sie die herr­schaftliche Hanfreibe an Matthäus Metzger um 40 Gulden jährlichen Zin­ses, und 1783 erwähnt eine De­klaration des Franz Fried­rich Sigmund Böcklin  von Böcklin­sau eine "Plauelmatte". Somit ist klar, die heutige Ge­wannbezeichnung "Blaumatte" hat nichts mit der Farbe blau zu tun, sondern geht auf den früheren Standort einer "Hanfplauel" zurück. Die gemeindlichen Einrichtungen lagen wohl bei der Mühle, diejenigen der Ortsherrschaft im Bereich der heutigen Blau­matte. Wann sie aufgegeben wurden lässt sich nicht mehr feststellen.

Nach dem Plaueln und Reiben wurde der Hanf nochmals durch die Feinhechel gezogen, um die Fasern zu ordnen. Aus den langen Fasern entstand feines Leinengewebe, aus den kurzen der Zwillich. Den Kuder brachte man dem Seiler.

Aus den gesponnenen Fasern wurde nicht nur Stoff für den Eigenbedarf gewoben. Darüber hinaus sollte der Hanf noch Geld einbringen. Deshalb wurden die Gewebe auf dem Markt im nahen Etten­heim feilgeboten. Daneben wurde aber auch der noch unbearbeitete Faserstoff sowie das fertig gesponnene Garn verkauft.

Alte Hanfknitsche aus Holz
Hanfknitsche
©Vogtsbauernhöfe Gutach

Welche große Verbreitung und Gewicht der Hanfanbau in der Gemeinde Rust noch im 19. Jahrhundert hatte, zeigt ein Blick auf ein Flurkarte des Jahres 1874. Darauf sind allein im Gewann Allmend 70 "Hanfreezen", in den Gewannen "Stockfeld", "Stein" und "Latscht" rund 50 eingezeich­net. Dies sind zusammen 120 Hanfrötzen. Ausgehend von ei­nem "Verzeichnis der Hofreuten" des Jahres 1855, das uns 261 Häuser nennt, kommt man zu dem Schluss, dass fast jede zweite Haushaltung etwas mit der Hanfverarbeitung zu tun hatte. Dabei ist unberück­sichtigt, dass eine Hanfrötze möglicherweise von zwei Par­teien genutzt werden konnte.
Ein Katasterplan des Ortes bezeichnet heute noch das Gebiet zwischen der Rheingießenhalle, dem Fußgängerweg zum Hallenparkplatz und der Ritterstrasse als "Hanfgarten".Die Bedeutung der Hanfpflanze für unsere Vorfahren spiegelt sich auch in verschwundenen Bräuchen. So überliefert uns Emil Sattler zu Beginn des Jahrhunderts, in einem Bericht über den Brauch des Johannisfeuers, einen Spruch, den die "Knaben" des Dorfes beim Einsammeln des Feuerholzes der Dorfbevölkerung halb singend halb sprechend vortrugen:



            "Vinzentin Gloria,            was fange ihr mit däne bese Buawe a ?            Gän is a Schitt Holz            oder der Hanf wachst nimmi!"

Manche Schelme verschärften die Bitte, schreibt er weiter, indem sie sangen: "Gän is a Schitt Holz oder der Hanf wachst undrschi wiä ä Kuewedel!"Heute erinnert nur noch der Name der 1954 gegründeten Narrenzunft "Hanfrözi" an die fast vergessene Nutzpflanze. Er entstand in Anlehnung an eine angebliche Geistergestalt, die in vergangenen Zeiten auf den Hanfrözen ihr Unwesen getrieben haben soll. Diese wurde in der Narrenfigur des "Rözi-Hansele" wieder belebt. Damit hat sich, wenn auch nur im Brauchtum, die Erinnerung an die für unsere Vorfahren wichtige Pflanze erhalten.

Nicht nur zur Herstellung von Seilen und Tuchen oder zur Ölgewinnung wurde die Hanfpflanze verwendet. Schon früh versuchten die Menschen auch die Heilwirkung des Hanfes zu nutzen. So schreibt Hieronymus Bock in seinem 1551 in Straßburg erschienen Kräuterbuch:

"Von der Krafft und Würckung"

Alle Hanfkräuter sind kalter Qualität. Sie werden mehr äußerlich denn im Leib gebraucht, jedoch wird der Samen nun mehr auch in den Küchen unter die Legumina (Gemüse) gezählt.Der Hanf soll mit abnehmendem Mond außgezogen(geerntet) werden.

Innerlich Im Land zu Francken (Frankreich) kocht man den Hanfsamen zur täglichen Speiß, wie die Gerste. Aber in Wahrheit - wird solche Kost stets gebraucht, macht sie einen blöden kalten Magen, tilgt aus die Wärme und Kraft der natürlichen Werke. Sie gehört vielmehr für die Hühner, denn die legen viel Eier davon, für Distelfinken und dergleichen Vögelein. Wo sie aber zuviel geniessen, werden sie so fett, daß sie ersticken.Hanfsamen in Milch gesotten und ganz warm getrunken stillet und vertreibet den heißen Husten. Tilget aus die Gälsucht.Für das Reißen im Leib nimm Hanfsamen so viel du willst, wäsch den Staub mit Wasser ab, gieß guten Wein darauf und siede es bis die Körner aufspringen. Danach laß eine Milch daraus machen. Von der nimm einen warmen Trunk, so wird es die Wehetagen (Schmerzen) linderen. Du sollst es aber nit allein einmal, sondern zu andern und dritten Mal tun.
 ÄußerlichDie Seiler und diejenigen, so sich von Spinnen ernähren, wissen den besten Gebrauch und Nutzen der Hanfkräuter. Solches zu beschreiben bedürfte eines eigenen Buches.Das grüne Hanfkraut oder ein gebranntes Wasser davon ist Nutz zu aller Hitze des Hauptes und anderer Glieder. Sie werden damit bestrichen oder darüber geschlagen (Umschlag), sonderlich zum hitzigen Podagra (Fußgicht) darüber gelegt.Der Saft vom Hanfkraut in die Ohren getan tötet die Würm darin, oder anderes, das darein geschlossen ist.Das wilde Hanfkraut zerstossen und über das Rotlaufen und wild Feuer geschlagen, verteilt das selbige mit Hinlegung (besiegen) der Hitz und Schmerzen.Die Fischer sieden den Hanf in Wasser. Das gießen sie in die Höhlen, da die Regenwürm ihre Wohnung haben. Damit jagen sie die Würm heraus.Man möchte auch obgemelte (vorgenannte) Brühe den Pferden eingießen, wider die Bauchwürm. Die rechte Wurzel zerstossen und übergeschlagen heilet, was vom Feuer verzehrt ist.So jemand viel Feuchtigkeit in den Ohren hätte und ihm stetig flösse, der lasse Hanfsamenöl darein und er genest.

Zuckerrüben - Tabak - Hopfen

Vermutlich wurde der Hanf durch das Aufkommen des Tabakanbaus nach und nach aus der hiesigen Landwirtschaft verdrängt, der gegen Ende des vorigen Jahrhunderts auch dem Zuckerrübenanbau ein Ende bereitete. Dazu schreibt die Lahrer Zeitung vom 18. Oktober 1892: "Das Abliefern der Zuckerrüben an die Zuckerfabrik Waghäusel geht ihrem Ende entgegen. Die Pflanzer sind sehr unzufrieden mit diesem Artikel, da er erstlich keinen hohen Ertrag abwirft und zweitens das Reinigen der Rüben, die nicht geschabt, nicht an der Haut verletzt und nicht gewaschen werden dürfen, unsäglich viele Mühe macht, und es drittens an der Bahn beim Einwiegen durch hohe Prozentabzüge nicht lobend zugeht. So wurden von 4 bis 16 Prozent Abzüge gemacht, weshalb denn von Rust aus klagend vorgegangen wird. Im ganzen Bezirk wird das nächste Jahr kein Accord mehr gemacht werden, denn jeder erkennt, dass das Tabak pflanzen angenehmer und lohnender ist."

Mit dem Tabakanbau erhielten die Bauern eine neue Verdienstmöglichkeit. Die Gemeinde Rust gehörte zu den ersten Orten in Mittelbaden, in denen Tabak angepflanzt wurde. Die Anregung zum Tabakanbau ging, wie in manch anderen umliegenden Orten, von den Gebrüdern Lotzbeck aus, die schon 1774 in Lahr eine Schnupftabakfabrik gegründet hatten. Mit schier unermüdlichem Eifer wurden die Landwirte durch gedruckte Anweisungen, unentgeltliche Austeilung von Tabaksamen, Abgabe von Setzlingen und durch Prämien zum Anbau der Tabakpflanze ermuntert. Dies führte dazu, dass sich der Tabakanbau innerhalb weniger Jahre in den Ried­dörfern in der Umgebung von Lahr einbürgerte. Da der Tabakanbau und dessen Verarbeitung sehr arbeitsintensiv ist, war ein großflächiger Anbau allerdings nicht möglich.Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Rust auch Hopfen ange­baut. Besonders die Böcklinsche Gutsverwaltung und der Metzgermei­ster Wemlinger pflanzten dieses heute ganz aus der Gegend ver­schwundene Gewächs an.

Tabakverarbeitung

Gezeichnetes Bild. Bauer verarbeitet Tabak
Anbau und Verarbeitung von Tabakpflanzen
© Wikimedia

Mitte der Zwanziger Jahre stand der Tabak in Baden unter den angebauten Handelsgewächsen an erster Stelle, wobei die Hauptanbaugebiete die untere und mittlere Rheinebene waren, die mit ihrem ziemlich warmen und gleichmäßigen Klima sowie ihren sandigen und kiesigen Böden für den Anbau der Tabakpflanze gut geeignet ist. Der größte Teil des im Badischen angebauten Rohtabaks wurde von den Fabriken verarbeitet, die sich in den wichtigsten Tabakanbaugebieten niedergelassen haben.

Die Verarbeitung geschah von Anfang an in der Hauptsache rein fabrikmäßig. Fabrikgründungen sind schon früh nachweisbar. Die badische Tabakindustrie reicht mit ihren Anfängen bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück. Die ersten Fabriken waren ausschließlich Rauch- und Schnupftabakfabriken.

Mitte des 19. Jahrhunderts setzte in der Tabakindustrie eine wichtige Veränderung ein. Die Tabakspfeife und mit ihr auch der so genannte Rauchtabak wurde in breiten Bevölkerungsschichten zugunsten der Pfälzer Zigarre in den Hintergrund gedrängt. Infolgedessen war auch die Tabakindustrie auf eine Umstellung angewiesen.

Mit dem Übergang zur Zigarrenindustrie begann der Bedarf an Arbeitskräften zu wachsen, da die Fabrikation in den Zigarrenfabriken in der Hauptsache Handarbeit war. So entstanden auf der Suche nach billigen Arbeitskräften auf dem Lande, in den Ortschaften zahlreiche ländliche Zweigfabriken, bis im Jahre 1925 von 43 Gemeinden im Bezirk Lahr 35 eine größere Tabak- und Zigarrenfabrik besaßen, allein in der Gemeinde Rust waren zu diesem Zeitpunkt von 1779 Einwohnern 574 Personen, d. h. 49% aller Erwachsenen in der Tabakindustrie beschäftigt. Die Gemeinde gehörte somit zu den so genannten "Zigarren und Tabakdörfern", in denen ein Großteil der gesamten erwachsenen und erwerbsfähigen Bevölkerung, meist waren es Frauen oder Mädchen, von der Tabakindustrie lebten, oder wie man sagte, "in die Zigarrenfabrik gingen".

Schon 1870 nahm die Firma Heppe aus Herbolzheim in Rust die Zigarrenherstellung auf. 1882 begann die Firma Neusch, ebenfalls aus Herbolzheim, im Gasthaus "Bock" in der Fischerstraße, zog aber 1891 in die Ludwigstraße. Um das Jahr 1900 kam die Firma Maier und Vennemann dazu; ihre Filiale ging später auf die Oberschopfheimer Firma Geiger über. Die ebenfalls um die Jahrhundertwende begründete Tabakfabrik Sattler in der Ritterstraße wurde schon im Jahre 1905 an die Bremer Firma Biermann und Schörling verkauft.

Im Jahre 1910 eröffnete Josef Röderer aus Oberschopfheim in Rust eine Zigarrenfabrik. In der Scheune von Ludwig Rinkenauer in der Karl-Friedrich-Straße errichtete 1927 die Firma Möhringer aus Altdorf einen weiteren Betrieb, der 1934 an die Firma Vivaz, Kenzingen, überging.

In Rust gab es, wie in den meisten Orten der Rheinebene, zum Teil bedingt durch die Existenz der Realteilung im Erbfalle, sehr viele landwirtschaftliche Klein- und Zwergbetriebe, deshalb konnte die Bevölkerung nur sehr schlecht von der Landwirtschaft leben und war deshalb in der Lage Arbeitskräfte an die Industrie abzugeben.

Ein entscheidender Vorteil der Ansiedlung von Filialbetrieben auf dem Land war, dass die ländlichen Arbeitskräfte, insbesondere Frauen und Jugendliche, in Zeiten geringerer Beschäftigung von den Fabriken auf dem Land viel leichter vorübergehend aus dem Arbeitsprozess ausgegliedert werden konnten, als in der Stadt, wo die Lebenshaltung des Industriearbeiters und seiner Familie ganz auf den Verdienst in der Fabrik eingestellt war. Andererseits setzten aber auch die Beschäftigten zu gewissen Jahreszeiten, wie zur Zeit der Heu- und Kartoffelernte, die Arbeit in der Fabrik zeitweise aus, um den Erntearbeiten nachgehen zu können.

Weil, wie schon festgestellt, in den Zigarrenfabriken hauptsächlich Frauen und Mädchen arbeiteten, ist es nicht verwunderlich, dass in Rust schon zu Beginn der 1870er Jahre der Gedanke aufkam, eine Kleinkinderschule oder Kleinkinderbewahranstalt einzurichten, die dann auch 1891 in der Fischerstraße ihren Betrieb aufnahm.

Backsteinmacherei

Im Jahre 1858 begann Matern Sauter mit der Backsteinherstellung, er fand in der Gemarkung günstige Voraussetzungen, da der Boden mit seinen kalkarmen Lehmen und Sanden, die vielfach nur wenig unter der Oberfläche lagen, ein vortreffliches Material bot. Als das Geschäft sich günstig entwickelte, folgten bald andere seinem Beispiel nach.

Die Ruster Backsteine fanden in allen umliegenden Ortschaften ihre Abnehmer, besonders die Orte am Kaiserstuhl bezogen ihre Backsteine von hier, auch ins Elsass, von Erstein bis Schlettstadt, wurde geliefert. Die Backsteinmacher wurden allerdings nicht reich bei ihrem Geschäft, wenn auch viele von ihnen sich ein eigenes Haus bauen konnten. Aber die Umstellung auf eine modernere, maschinelle Fabrikationsweise gelang ihnen nicht. So gingen die einzelnen Betriebe schließlich nacheinander ein, bis das einst blühende Gewerbe nach dem Zweiten Weltkrieg völlig zum Erliegen kam.

Quellen und Literatur:Debacher: Alt Rust in Bildern; Köbele: Ortssippenbuch Rust; Wild: Rheinhausen; Bock: Das Kräuterbuch. Straßburg, 1551.